Details zum Fleisch der Zukunft
Fleischerzeugung, ohne Tiere zu töten: Hintergrundinformationen zu „Kultiviertem Fleisch“
Die heutige Produktion von tierischen Lebensmitteln zwingt Milliarden fühlender, intelligenter Lebewesen zu einem Dasein in extremen Haltungsbedingungen, in denen sie psychische Traumata und schmerzhafte Eingriffe erleiden. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, Fleisch zu produzieren, das genauso aussieht, riecht und schmeckt wie echtes Fleisch, ohne aber ein Tier dafür in der Masse zu halten oder zu schlachten – wäre die Öffentlichkeit bereit, es zu essen?
Wie soll das Produkt heißen?
Es gibt derzeit eine Handvoll von Start-ups, die sich ausschließlich mit einem beschäftigen: Fleisch herzustellen, für das kein Tier leiden oder sterben muss. Sogenanntes In-vitro- oder Labor-Fleisch, das häufig auch als „Kultiviertes Fleisch“ bezeichnet wird, ist eine bahnbrechende Technologie, die das globale Ernährungssystem revolutionieren könnte.
Laut dem „Good Food Institute“ (GFI) aus den USA, ist der Begriff „Clean Meat“ [zu Deutsch „sauberes Fleisch“] eine präzise Weise, echtes Fleisch, das keine Schlachtung notwendig macht, zu beschreiben. Der Begriff ist vergleichbar mit „sauberer Energie“. Das Wort beschreibt wichtige Aspekte der Technologie: die positiven Auswirkungen auf die Umwelt einerseits und die Abwesenheit von Krankheitserregern oder Arzneimittelrückständen andererseits. Das Endresultat ist dementsprechend hervorzuheben – Fleisch, das „clean“, also sauber, ist.
Nach eingehenden Verbraucherforschungen, die vom GFI zusammen mit einem unabhängigen Lebensmittel- und Getränkeinnovationsunternehmen durchgeführt wurden, ergab sich jedoch „Kultiviertes Fleisch“ als das ansprechendste Wort. Der vom GFI geprägte Begriff „Kultiviertes Fleisch“ schließt bestehende Akteure der Fleischindustrie nicht von der Diskussion aus, ist in einem regulativen Zusammenhang anwendbar und regt Verbraucher dazu an, fundiertere Entscheidungen bei ihrer Fleischwahl zu treffen.
Eines der Start-ups, die an der Entwicklung von „Kultiviertem Fleisch“ arbeiten, ist das Niederländische Unternehmen Mosa Meat, welches vom Wissenschaftler Dr. Mark Post der Universität Maastricht mitgegründet wurde. Dr. Post war der Wissenschaftler, der im Jahr 2013 den ersten Burger aus „Kultiviertem Fleisch“ der Öffentlichkeit präsentierte. Daher ist er auch bekannt als Vater des „Clean Meat“. Seine drei Hauptmotive für die Entwicklung des „Kultivierten Fleisches“ sind Ernährungssicherheit, Umwelt- und Tierschutz.
Was genau ist „Kultiviertes Fleisch“?
Während sonst für Fleisch immer ein Tier sterben muss, wird „Kultiviertes Fleisch“ durch die Entnahme von Muskelstammzellen am lebenden Tier hergestellt – es muss also kein Tier dafür sterben. Der Eingriff der Stammzellenentnahme ist mit einer Blutabnahme vergleichbar.
Die Stammzellen werden anschließend außerhalb des Tierkörpers in einer Zellkultur vermehrt und bei ausreichender Anzahl zusammengesetzt, um Muskelgewebe zu bilden. Dieses Gewebe ist Muskelfasern in einem Steak sehr ähnlich und als Endprodukt zu 100 % echtes Fleisch. Früher wurde im Herstellungsprozess noch ein Serum verwendet, das von Kälberföten stammte, was aber laut Dr. Post nun nicht mehr notwendig ist.
„Es gibt eine Reihe dringender Gründe, auf Kälberserum zu verzichten. Es ist von Natur aus nicht nachhaltig, es lässt sich nicht mit unseren Tierschutzstandards vereinbaren, das Serum von ungeborenen Kälbern zu gewinnen, und darüber hinaus birgt es Krankheitsrisiken.“ Derzeit wird an Optimierungsmöglichkeiten mit einem pflanzlichen Serum als Bindemittel geforscht.
„Kultiviertes Fleisch“ kann von jedem Tier hergestellt werden, das muskelspezifische Stammzellen besitzt. Das gilt für alle Tiere, die üblicherweise gegessen werden: Säugetiere, Vögel und Fische.
Aber warum konzentriert sich Mosa Meat nur auf Rindfleisch?
„Wir konzentrieren uns auf Rindfleisch, weil Rinder das ineffizienteste Glied in der Nahrungsmittelproduktion darstellen. Der Energieumsatz beträgt weniger als 15 %. Das heißt, um 150 g Muskelfleisch zu produzieren, muss dem Rind 1 kg Futter zugeführt werden. Schweine sind doppelt so effizient und Hühner sogar vier Mal. Fische sind am effizientesten. Aus Tierschutzgründen ist es eine sehr gute Idee, auch Schweine und Hühner durch kultivierte Fleischvarianten zu ersetzen“, sagt Dr. Post.
Finless Foods ist ein weiteres Start-up in diesem Bereich. Es konzentriert sich auf die Entwicklung von Fischprodukten. Durch die Entnahme von Zellmaterial bei Fischen ist das Unternehmen in der Lage, Fischprodukte herzustellen, ohne Tiere dafür zu töten.
Akzeptanz ist hoch
„Kultiviertes Fleisch“ ist die Lösung vieler Probleme, dennoch steht die Produktion noch vor technischen, finanziellen und organisatorischen Herausforderungen. Im Herstellungsprozess gibt es Optimierungsmöglichkeiten, da neben den Muskelzellen keine weiteren tierischen Inhaltsstoffe verwendet werden sollten.
Für die weitere Forschung und Entwicklung sind Mosa Meat und andere Start-ups auf finanzielle Mittel angewiesen, die durch öffentliche Fördergelder nur schwer aufzubringen sind. Viele, so auch Dr. Post, schauen aber hoffnungsvoll in die Zukunft; immer mehr Inverstoren zeigen Interesse und nach neuesten Studien ist die Akzeptanz der Konsumenten gegenüber „Kultiviertem Fleisch“ durchaus positiv.
Dr. Post sagt: „Zahlreiche Umfragen innerhalb der EU und in den USA zeigen, dass eine große Minderheit, nämlich zwischen 20 bis 50 %, „Kultiviertes Fleisch“ probieren würden. Wir sind zuversichtlich, dass die Vorteile den Verbraucher überzeugen werden, sobald Produktqualität und Preis stimmen.“
Mit der Einführung von „Kultiviertem Fleisch“ in Restaurants und speziellen Läden ist in etwa drei bis vier Jahren rechnen. Weitere zwei bis drei Jahre wird es dauern, bis das Fleisch in den Supermärkten erhältlich ist. Anhand der Akzeptanz der Bevölkerung wird sich zeigen, ob es sich als Nischenprodukt entwickelt oder als Produkt, welches das gesamte Ernährungssystem revolutionieren wird.
Was denken Sie über „Kultiviertes Fleisch“? Würden Sie es probieren? Teilen Sie uns gerne Ihre Gedanken mit: nutrition@four-paws.org