Eine Gruppe von jungen Lämmern

Kaputte Versprechen, kaputtes System

Warum 140 Millionen Lämmer gelitten haben, während die Wollindustrie stagniert

8.10.2024

Im Jahr 2004 gaben führende Vertreter:innen der australischen Wollindustrie der Welt ein kühnes Versprechen: Sie würden die grausame Praxis der Lämmerverstümmelung (oder, wie die Industrie es nennt, „Mulesing“) bis 2010 abschaffen. Es war ein großer Moment, ausgelöst durch internationalen Druck und die Drohung von Einzelhändler:innen, australische Wolle zu boykottieren. Eine Reaktion auf die weltweite Verurteilung der Brutalität der Lämmerverstümmelung.

Doch so schnell wie das Versprechen gegeben wurde, wurde es auch wieder gebrochen.

Im Jahr 2009, als die Frist abzulaufen drohte, brachen die Verantwortlichen der australischen Wollindustrie ihr Wort. Wir müssen uns fragen, ob sie wirklich vorhatten, die Lämmerverstümmelung zu beenden, oder ob es sich bei dem Versprechen um ein reines Ablenkungsmanöver handelte.

Hätten sie sich an ihr Versprechen gehalten, hätten bereits schätzungsweise 140 Millionen Lämmer von den unerträglichen Schmerzen und Traumata dieser brutalen Prozedur verschont werden können. Die Menge an Haut, die in den letzten 20 Jahren von den Hinterteilen junger Lämmer abgeschnitten wurde, könnte drei Schwimmbecken von olympischer Größe füllen oder 195 Fußballfelder bedecken.

Was ist also passiert? Und warum ist Australien das einzige Land, das noch an dieser veralteten und grausamen Praxis festhält?

Lämmerverstümmelung in der Wollproduktion ist ein globales Problem, das durch die weltweite Nachfrage ausgelöst wird. Gegenwärtig stammen 80 % der weltweit in Kleidung verwendeten Merinowolle aus Australien.

Australien ist das einzige Land, in dem Lämmern bei vollem Bewusstsein Haut am Po abgeschnitten wird. Das bedeutet, dass die meisten Kleidungsstücke aus Wolle von Schafen stammen, die dieser grausamen Praxis ausgesetzt waren. 

Bitte verschließen Sie davor nicht die Augen. Das ist ein weltweites Problem!

Lämmerverstümmelung: Die brutale Lösung für ein von uns geschaffenes Problem

Falls das Thema für Sie neu ist: Die Lämmerverstümmelung ist eine brutale, schmerzhafte Prozedur, bei der zwei Wochen alte Lämmer gefesselt, auf den Rücken gelegt, in eine Metallwiege geschnallt werden. Dann werden ihnen große Hautfalten um ihr Hinterteil herum weggeschnitten, um das Risiko eines Fliegenbefalls zu verringern. Die Lämmer sind erst wenige Wochen alt, wehrlos und verängstigt. Der Schmerz, den sie erleiden, ist sowohl unmittelbar als auch lang anhaltend.

Obwohl der Fliegenmadenbefall – bei dem Schmeißfliegen ihre Eier in den Hautfalten der Schafe ablegen – ein ernstes Problem für das Wohlergehen der Tiere darstellt, ist die Lämmerverstümmelung keine Lösung. Es ist ein plumper Versuch, ein Problem zu lösen, das wir geschaffen haben, indem wir Schafe absichtlich so gezüchtet haben, dass sie mehr Haut (und damit Hautfalten) haben, um noch mehr Wolle von den Schafen zu bekommen.

Das Problem ist, dass das Wegschneiden der Haut um den Po das Problem nicht einmal vollständig löst. Die Lämmer können immer noch an anderen Stellen ihres Körpers, wo die zusätzliche Haut weitere Falten wirft, unter Fliegenmadenbefall leiden. Und was noch schockierender ist: Die Wollindustrie kennt den Zusammenhang zwischen der Zucht faltiger Schafe und Fliegenmadenbefall seit über 100 Jahren.1

Dies ist kein kleines Problem.

Es wird geschätzt, dass jedes Jahr mehr als 10 Millionen Lämmer den Schmerz und das Trauma der Lämmerverstümmelung durchleben müssen – das sind etwa 19 Lämmer pro Minute.2

Das von der Wollindustrie gewählte Schmerzmittel darf nicht für Haustiere verwendet werden, aber für Lämmer ist es gut genug

Stellen Sie sich vor, Sie bringen Ihren Hund zur regelmäßigen Untersuchung zum/zur Tierärzt:in und erfahren, dass ihm eine Hautfläche an der Hinterhand entfernt werden muss, die größer als Ihre Handfläche ist. Der/die Tierärzt:in trägt nach dem Eigriff eine Creme auf, um die Schmerzen kurzzeitig zu lindern. Dennoch wird Ihr Hund noch Tage, wenn nicht Wochen, unter den Folgen leiden.

Stellen Sie sich nun vor, dass die Person, die diesen „chirurgischen Eingriff“ vornimmt, nicht einmal Tierärzt:in ist.

All dies wäre illegal, wenn man es einem Hund antun würde.

Was die so genannte Schmerzlinderung angeht, so ist sie nicht ausreichend.

Nur in zwei australischen Bundesstaaten – Victoria und Tasmanien – ist Schmerzlinderung vorgeschrieben. Dazu gehört nicht die vorgeschriebene Anwendung einer angemessenen, postoperativen Schmerzlinderung und Wundversorgung. Die Lämmer spüren jeden Schnitt, und erst nach der Verstümmelung wird eine Creme aufgetragen, die kurzzeitig die Schmerzen lindert. Weitere Informationen über die Lämmerverstümmelung und die Verwendung von Schmerzmitteln finden Sie hier.

Die Lösung, die ignoriert wird

Die einzige wirkliche Lösung? Die Zucht von Schafen, die von Natur aus resistent gegen Fliegenmadenbefall sind. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass man nicht mehr absichtlich Schafe züchtet, die überschüssige Haut und Hautfalten haben, die Fliegen anziehen (und ihnen auch noch andere große Tierschutzprobleme bereiten), sondern sich stattdessen den Tausenden von Wollproduzent:innen anschließt, die Schafe züchten, die nicht verstümmelt werden müssen.

Fast die Hälfte der australischen Wollproduzent:innen hat erkannt, dass das Verstümmeln von Lämmern brutal ist und dass der globale Wollmarkt dies nicht unterstützt – viele sind auf die Zucht von Schafen umgestiegen, die gegen Fliegenmadenbefall resistent sind. Diese Erzeuger:innen verbessern nicht nur den Tierschutz, sondern profitieren auch von den Vorteilen: gesündere Schafe, niedrigere Kosten und höhere Preise für ihre Wolle.

Außerdem haben sie diese Umstellung aus eigener Kraft geschafft, ohne Unterstützung durch die australische Wollindustrie, die weiterhin den Einsatz guter Genetik als Lösung in Frage stellt.

Diese Lösung ist nicht neu, sie ist der Wollindustrie seit Jahrzehnten bekannt und wird seit den 1990er Jahren von Tausenden von Wollproduzent:innen erfolgreich eingesetzt.

Ein Scheitern der Führung: Wenn Versprechen nichts bedeuten

Die Wollindustrie hat in katastrophaler Weise versagt, als es darum ging, einen nationalen Ausstieg aus der Lämmerverstümmelung anzuführen. Anstatt die Erzeuger:innen bei der Umstellung zu unterstützen, hat sie Millionen für alternative Lösungen wie Impfstoffe und chemische Behandlungen ausgegeben – von denen keine die eigentliche Ursache behandelt. Zwischen 2018 und 2023 hat Australian Wool Innovation (AWI) Millionen für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Fliegenmadenbefall verschwendet.

Aber warum? Es stellte sich heraus, dass die Personen, die die Entscheidungen beeinflussten, oft dieselben waren, die von der Fortsetzung der Praxis profitierten. Das mag daran liegen, dass diese Spitzengremien von Erzeuger:innen geleitet werden, die selbst noch Lämmerverstümmelung praktizieren oder Gestüte betreiben, die Schafe mit einem hohen Faltenwert verkaufen und damit dem Risiko des Fliegenbefalls ausgesetzt sind (siehe Bericht Seite 39-43).

Wir sprechen hier von einem Interessenkonflikt.

Das ist nicht nur schlecht für die Lämmer, sondern auch schlecht fürs Geschäft.

Es sind nicht nur die Lämmer, die im Stich gelassen wurden. Die Wollerzeuger:innen, die australische Öffentlichkeit, die Verbraucher:innen, die Tierschutzorganisationen und die globalen Marken haben alle erwartet, dass die Branche ihr Versprechen aus dem Jahr 2004 einlöst.

Stattdessen wurden wir 20 Jahre lang mit leeren Worten und Ausreden gefüttert.

Mehr als 330 globale Unternehmen haben sich öffentlich gegen die Lämmerverstümmelung ausgesprochen, und 90 haben den von VIER PFOTEN vorbereiteten offenen Brief unterzeichnet, in dem die australische Wollindustrie aufgefordert wird, diese brutale Praxis bis 2030 zu beenden.

Nike, adidas, H&M, Zara, Target, Patagonia, Hugo Boss, Kmart und The North Face haben sich verpflichtet, nur noch zertifizierte Wolle zu beziehen, die frei von Lämmerverstümmelung ist.

Nicht nur die Unternehmen bringen ihren Unmut zum Ausdruck. Eine YouGov-Umfrage vom April 2024 ergab, dass fast vier von fünf Befragten der Meinung sind, dass Einzelhändler:innen keine Wolle mehr von Schafen beziehen sollten, die verstümmelt werden, sobald sie von dem Verfahren erfahren.3

Wir können nicht zulassen, dass weitere 20 Jahre lang Lämmer leiden, bis die australische Wollindustrie ihr Wort einhält.

Wir brauchen Unternehmen und Einzelhändler:innen auf der ganzen Welt, die die Wolle von verstümmelten Lämmern aus ihren Designs verbannen und die australische Wollindustrie und die Regierungen auffordern, ein Ausstiegsgesetz zu erlassen.

Die von uns unterstützte und befürwortete Lösung – die Zucht von Schafen mit weniger Falten – wird von Tierschutzorganisationen, der Wissenschaft und Tausenden von Wollproduzent:innen unterstützt. Lesen Sie mehr im neuen Bericht: 

The Broken Promise:

The Broken Promise:

The Australian wool industry’s failure to end live lamb cutting (mulesing), and why governments must step in.

Lamm auf einem Feld

Gebt ihnen eure Stimme!


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Quellenverweis

1. Belschner HG, Carter HB. Fleece Characteristics of Stud Merino Sheep, in Relation to the Degree of Wrinkliness of the Skin of the Breech. I. Australian Veterinary Journal. 1936;12(2):43–54. https://doi.org/10.1111/j.1751-0813.1936.tb00003.x
2. Ipsen M. World’s best practice in Lamb Survival. Nuffield Australia Project No 1316. 2014 Apr:42.
3. YouGov. YouGov Poll Wear It Kind Report 2024. 2024. https://media.4-paws.org/4/8/d/4/48d43b190ae9492c0e198837e11c4813b433e26c/YouGov_Poll_Wear_It_Kind_Report_2024-07-30.pdf

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