Illegalen Welpenhändlern auf der Spur

Trotz Aufklärung, Beschlagnahmungen und Strafverfolgung floriert der illegale Handel mit todkranken Hunden

4.7.2024

Januar 2024. In der dunklen Unterführung am Berliner Ostbahnhof stoppt ein schwarzer Jaguar-SUV. Aus der Beifahrertür steigt eine Frau, auf dem Arm zwei winzige, zitternde Hundewelpen. Am Straßenrand steht Birgitt Thiesmann von VIER PFOTEN, sie wurde als vermeintliche Käuferin zu diesem Übergabeort bestellt. Die Frauen wechseln ein paar Worte, dann geht alles ganz schnell:

Zehn Polizist:innen, zum Teil in Zivil, umstellen den Wagen und nehmen die Händlerin sowie ihren Komplizen am Steuer fest. Im Auto finden die Beamt:innen noch einen weiteren kleinen Yorkshire-Terrier, später in der Wohnung kommen noch einmal drei Hundebabys sowie gefälschte Impfausweise dazu. Einige der Kleinen sind höchstens sechs Wochen alt – eine Straftat, denn sie sind viel zu jung, um von der Mutter getrennt zu werden. Welpen müssen in Deutschland bei der Abgabe mindestens zwölf Wochen alt sein. Kommen sie aus dem Ausland, sind es sogar 15 Wochen. 

Erst dann greift der Impfschutz gegen Tollwut, eine Krankheit, die für Menschen und Tiere tödlich verläuft. Das Paar ist der Polizei bekannt und hat schon mehrfach kranke und viel zu junge Rassewelpen aus Polen verkauft. Eines ihrer Opfer ist Silke K.* Sie hatte VIER PFOTEN den Kauf eines sehr kranken Tieres von diesen Händlern gemeldet. 

Ihr Yorkshire-Terrier Hedi bekam gleich nach dem Kauf Durchfall, dann Zitteranfälle und fiel schließlich ins Koma. In der Tierklinik wurden Parasiten und das lebensgefährliche Parvovirus diagnostiziert. Dass die kleine Hündin überlebt hat, ist ein Wunder. Nur starke Antibiotika und umfassende Pflege retteten sie. Neben der steten Sorge um das Tier hatte Silke K. Behandlungskosten von über 4.000 Euro. Und die kleine Hedi wird wahrscheinlich ihr Leben lang tierärztliche Unterstützung brauchen.

Organisierte Kriminalität

Europaweit werden vor allem in den östlichen Ländern massenweise Hunde unter schlimmsten Bedingungen produziert. Viel zu jung, mit gefälschten Papieren, oft schon todkrank und mit Antibiotika kurzfristig fitgespritzt kommen die Tiere über das Internet auf den Markt. Die Anbieter:innen können ihr Geschäft auf vielen Onlineplattformen wie Quoka.de, Kleinanzeigen.de und Markt.de anonym betreiben. Das Leid trifft nicht nur die hilflosen Welpen. In den Vermehrerstationen müssen die Muttertiere unter katastrophalen Bedingungen wie am Fließband gebären. Sobald die Hündinnen dazu nicht mehr in der Lage sind, werden sie rücksichtslos entsorgt.

VIER PFOTEN kämpft seit Jahren aktiv gegen dieses skrupellose Geschäft. 2023 wurden allein in Deutschland 803 Hunde aus illegalem Handel beschlagnahmt. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Dunkelziffer ist riesig. 

„Meist kommen bei Kontrollen nur Zufallsfunde ans Licht. In der gesamten EU werden Tiere aus Osteuropa verkauft. Hauptabnehmer sind Zwischenhändler in Belgien und den Niederlanden, die sie in alle Welt verschachern.“

Birgitt Thiesmann

Deutschland 2023

Welpenhandel in Zahlen

0

Welpen wurden jeden Monat durchschnittlich auf Onlineplattformen zum Kauf angeboten.

1350

Zwischen 1.350 und 4.100 Euro verlangten die Händler für einen Welpen

0

Hunde beschlagnahmte die Polizei insgesamt aus dem illegalem Handel.

Internationale Zusammenarbeit

Regelmäßig deckt VIER PFOTEN zusammen mit der Polizei durch Scheinkäufe den kriminellen Handel auf. Das Rechercheteam informiert die Veterinärämter, erstattet Anzeige und bringt die Fälle an die Öffentlichkeit. „Der Welpenhandel wird grenzüberschreitend von kriminellen Banden kontrolliert, genauso wie der Drogen- oder der Menschenhandel. Deshalb ist die internationale Zusammenarbeit mit den Behörden sehr wichtig“, betont Thiesmann. Dazu gehören auch Workshops, bei denen VIER PFOTEN seine Erkenntnisse an die Polizei, den Grenzschutz und den Zoll in Deutschland und Österreich weitergibt. Außerdem fanden im vergangenen Jahr Fortbildungen für rund 500 Teilnehmer:innen aus den Verwaltungs- und Vollzugsbehörden der EU statt. Die Zusammenarbeit macht Fortschritte. So hat die EU-Kommission 2021 den illegalen Handel mit Heimtieren als organisierte Kriminalität anerkannt. Dennoch wurden bisher weder auf EU-Ebene noch in Deutschland durchgreifende Gesetze verabschiedet.

Langfristige Folgen

Wenn die Welpen aus den Vermehrerstationen den illegalen Handel überleben, leiden sie meist ihr Leben lang. Nicht nur gesundheitliche Probleme belasten die Tiere und ihre Menschen. Viele Hunde bleiben verhaltensauffällig, wenn sie nicht von ihrer Mutter aufgezogen und sozialisiert wurden und das Zusammenleben mit Menschen in den ersten Wochen ihres Lebens erlernen konnten.

Für Yorkshire-Terrier Hedi ist der katastrophale Start ins Leben viel besser ausgegangen, als zu erwarten war. Die kleine Hündin wurde mit der Flasche aufgezogen und entwickelte großes Vertrauen zu ihrer Familie. Silke K. ist sehr froh darüber, dass die Betrüger:innen gefasst wurden. Diese werden sich nun wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug, Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz und Urkundenfälschung vor Gericht verantworten müssen. Zudem fordert Silke K. von ihnen die Behandlungskosten für Hedi ein.

Doch dafür ist Geduld nötig: Die Entscheidung des Gerichts ist erst in ein bis zwei Jahren zu erwarten.

AUFDECKEN UND MITHELFEN

Sie wurden Opfer des illegalen Handels mit Welpen oder haben ihn beobachtet?

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Interview

Birgitt Thiesmann recherchiert bei VIER PFOTEN seit Jahren zum illegalen Welpenhandel. Sie kennt die internationalen Strukturen, die Transportwege unddie Tricks der Händler:innen sehr genau.

REPORT: Seit vielen Jahren klärt ihr über den illegalen Welpenhandel auf. Warum kaufen immer noch soviele Menschen einen Hund über das Internet?

Birgitt: Seriöse Züchter:innen können das massenhafte Interesse an Welpen bestimmter Rassen gar nicht mehr bedienen. Wer nicht auf sein Tier warten möchte, wird schnell im Internet fündig. 

Auf den ersten Blick wirken die Angebote dort seriös. Die Betrüger:innen verlangen hohe Preise, werben mit Stammbaum, Heimtierpass und Impfnachweis. Sie

fragen sogar nach, ob man beispielsweise einen Garten habe. Kurz bevor das Geschäft abgewickelt wird, verlegen sie den Übergabeort sehr oft auf ein öffentliches Gelände. Wir erleben ständig, dass die Menschen erst zu Hause bemerken, dass sie ein sehr krankes Tier gekauft haben.

Ihr schult Polizei, Zoll und Grenzschutz. Was vermittelt ihr den Mitarbeiter:innen? 

Unsere Workshops sind sehr umfassend.Sie zeigen das Ausmaß des illegalen Welpenhandels sowie sämtliche Tricksder Händler:innen. Dazu gehören zumBeispiel gefälschte Papiere sowie nach oben geschraubte Altersangaben derWelpen. Unterstützt werden wir dabei vonTierärztin Dr. Kirsten Tönnies, die ebenfallseine Expertin auf diesem Gebiet ist undviele gefälschte Impfpässe aus sämtlichen Ländern vorliegen hat.

Wie schätzt du die Entwicklung bei der Strafverfolgung und das Strafmaß ein? 

Während es bis vor einigen Jahrennoch läppische Bußgelder gab, sind wirmittlerweile bei hohen Geld- und sogar mehrjährigen Gefängnisstrafen angelangt. Das sind aber immer noch die Ausnahmen.

Was ist nötig, um das Geschäft mit den todkranken Welpen zu beenden? 

Aktuell bietet die Überarbeitung des deutschen Tierschutzgesetzeseine riesige Chance. Wir brauchendringend eine bundesweite, gesetzlichverankerte Kennzeichnungs- undRegistrierungspflicht für alle Hundeund Katzen. Nur dadurch werdenStraftaten rückverfolgbar und können die Halter:innen zur Rechenschaft gezogen werden. 

Die einzigen EU-Länder, die kein solches Gesetz haben, sind Deutschland, Polen und Estland. Außerdem fordern wirein Verbot, Tiere anonym anzubieten und sie auf öffentlichem Grund zu verkaufen. Und nicht zuletzt muss das Strafmaßdeutlich erhöht werden. Angesichts der hohen Gewinne besteht im Moment kaum eine abschreckende Wirkung.

Was geschieht in der Zwischenzeit?

Solange es kein Verbot gibt, verhandeln wir mit den Onlineplattformen, um den anonymen Handel mit Tieren zuunterbinden. Außerdem decken wir möglichst viele Fälle auf, informieren die Öffentlichkeit und holen die Tiere aus den Händen der Mafia. Gleichzeitig rufen wir die Menschen immer wieder dazu auf: Bitte kauft diese Welpen nicht. Mit jedem verkauften Tier rücken weitere nach. Und in den überfüllten Tierheimen  warten viele Vierbeinersehnsüchtig auf ein neues Zuhause.

Quellenverweis

* Name von der Redaktion geändert

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