VIER PFOTEN Erdbebenhilfe in Syrien

Sieben Stunden um Tieren in Syrien zu helfen

Das Missionsteam reist nach Jindires, wo die Bewohner nach den Erdbeben dringend Hilfe benötigen

14.3.2023

Der Grenzübertritt von der Türkei nach Syrien, um Tiere zu versorgen, ist ein bürokratischer und logistischer Kraftakt. Dennoch gelang es dem VIER PFOTEN Team, sich eine einmalige Einreise für sieben Stunden nach Syrien zu sichern, um 20 Tonnen Nutztierfutter und 3,6 Tonnen Hunde- und Katzenfutter in die Stadt Jindires zu liefern. Unsere Reise beginnt am frühen Morgen mit einer 200 km langen Fahrt von Gaziantep in der Türkei bis zur Grenze zu Syrien. Der Plan sieht vor, dass wir uns dort mit unseren beiden Sendungen - eine mit Viehfutter, eine mit Hunde- und Katzenfutter - treffen und alles auf einen einzigen Lkw laden, bevor wir die Grenze überqueren.

Bis jetzt ist alles nach Plan verlaufen. Bei der Ankunft an der Grenze kontrollierten die Behörden unsere Pässe und gaben sie frei - unsere Kontaktpersonen hatten gute Arbeit geleistet, um unsere Durchreise zu sichern. Das Futter für die Nutztiere wurde auf unseren Transportwagen geladen und wir waren fast fertig. Von dem Lkw mit dem Hunde- und Katzenfutter fehlt jedoch jede Spur. Da wertvolle Tageszeit verstreicht, befürchten wir, dass wir diese Ladung einfach zurücklassen müssen. Doch in letzter Sekunde sehen wir den kleinen Lastwagen in der Ferne um die Ecke abbiegen.

In Windeseile setzt sich das Team in Bewegung und wirft fast 300 15 kg-Säcke mit Trockefutter über die Schulter auf die Ladefläche, so dass in Rekordzeit 3,5 Tonnen Lebensmittel auf den Sattelschlepper geladen werden. Es ist eine gewaltige Anstrengung in der Mittagssonne, und als wir fertig sind, sind wir ganz schön außer Atem geraten. Doch als sich der nun vollständig beladene Lastwagen in Richtung Grenzkontrolle in Bewegung setzt, wissen wir, dass uns die wirklich harte Arbeit erst noch erwartet.

Futterlieferungen für Tiere in Syrien
VIER PFOTEN in Syrien
Jindires, Syrien: mit Schutt bedeckte Straße nach den Erdbeben

Unvergleichliche Verwüstung

Nichts kann einen auf die Fahrt nach Jindires vorbereiten, nicht einmal ein paar Wochen Arbeit in den betroffenen Gebieten in der Türkei. In Türkiye gibt es Maschinen, es gibt Hilfe, es gibt NROs und das Gefühl, dass die Menschen - wenn auch langsam - vorankommen und wieder aufbauen. In Syrien sieht es so aus, als wäre das Erdbeben erst gestern passiert. Die Stadt sieht aus wie ein Kriegsgebiet, Schutt bedeckt die Bürgersteige und oft auch die Straßen. Zerklüftetes Gestein und scharfkantiges Metall droht einen auf Schritt und Tritt zu erwischen, wenn man nicht aufpasst, wo man hintritt. Die am bedenklichsten aussehenden Gebäudereste sind noch nicht abgerissen worden - es gibt einfach keine Möglichkeit dazu.

Das traurige Bild eines Hundes auf dem Gehweg, der schon seit einigen Tagen tot ist und immer noch nicht entfernt wurde, zeigt deutlich, dass es hier an Mitteln und Unterstützung fehlt.  

Aus Sicherheitsgründen wird unser Lastwagen zur Verteilung des Futters an einen sicheren Ort außerhalb des Stadtgebiets umgeleitet. In der Zwischenzeit macht sich der Rest des Teams auf den Weg, um einige der Familien zu besuchen, deren Nutztiere unsere Hilfe benötigen. Dr. Khalil, der Leiter der Mission, verteilt Medikamente und gibt medizinischen Rat. Die Gesichter der Dorfbewohner strahlen vor Hoffnung und Dankbarkeit, als sie die Zusage für Futter für ihre Tiere erhalten.

Dr. Amir Khalil spricht mit Anwohnern

Der berühmte Katzenmann aus Aleppo

Dann fahren wir zu einem Parkplatz, wo eine Gruppe von Männern versucht, den Motor eines alten Diesel-Lkws zu reparieren. Dort treffen wir den Tierschützer Mohammad Alaa, den berühmten Katzenmann aus Aleppo, der mit seiner Tierambulanz den ganzen Weg hierher gefahren ist, um Dr. Khalil persönlich zu treffen. Nach einem netten kurzen Austausch, holt er zugleich einen Patienten aus seinem Fahrzeug: einen kleinen Hund, der vor dem Erdbeben gerettet wurde und deutliche Anzeichen von Stress und Aggressivität zeigt. Der Grund wird schnell klar: Eine Holzschiene stützt sein Hinterbein, aus dem ein freiliegender Knochen herausragt. Es ist offensichtlich, dass der Hund eine intensivere Behandlung braucht, als sie auf diesem staubigen Parkplatz am Straßenrand möglich ist, und so beschließt Dr. Khalil, dass wir versuchen werden, den Hund zurück über die Grenze und in die PanVet-Klinik in Gaziantep zu bringen.

Wir erreichen den Standort unseres Lastwagens, um uns zu vergewissern, dass er sein Ziel sicher erreicht hat und dass die Verteilung wie geplant verläuft. Doch die Sonne ist bereits untergegangen, und da das verbleibende Tageslicht schnell zur Neige geht, bleibt uns nur noch wenig Zeit, um vor Einbruch der Dunkelheit zurück zum Grenzübergang zu gelangen, der dann bis morgen geschlossen wird. Während der 45-minütigen Rückfahrt sind die Hügel mit ihren Olivenbäumen vor meinem Fenster nur noch ein verschwommener Fleck, während unser Fahrer mit chirurgischer Präzision zwischen Autos und Motorrädern hindurchfährt und zahllose bewaffnete Kontrollpunkte passiert, um uns zurückzubringen.

Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig, und - fragen Sie mich nicht, wie - Dr. Khalil schafft es mühelos, den verletzten Hund über die Grenzkontrollen zu schaffen. Nach einem turbulenten Tag erreichen wir bei Einbruch der Nacht wieder türkischen Boden.

Der Katzenmann von Aleppo
Schwer verletzter Hund
Dr. Amir Khalil und Tierschützer Mohammad Alaa
Dr. Amir Khalil und Tierschützer Mohammad Alaa
Dr. Amir Khalil und Tierschützer Mohammad Alaa

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Ein greifbares Empfinden von Trauer und Verlust

Wir bemerken plötzlich, wie erschöpft wir sind. Wir brauchen einen Schluck Wasser, vielleicht einen Kaffee, bevor wir die lange Fahrt zurück nach Gaziantep antreten können. Entlang unserer Route scheinen jedoch keine Geschäfte mehr geöffnet zu sein. Am Rande einer scheinbar verlassenen Tankstelle treffen wir eine Gruppe an, die in einem kleinen Container Schutz sucht. Wir fragen sie, ob sie wissen, wo wir einen Kaffee bekommen können, und ohne zu zögern laden sie uns - eine Gruppe von Fremden nach Einbruch der Dunkelheit - in ihre Behausung ein, um uns das Wenige anzubieten, das sie haben. Während uns ein paar schüchterne Kinder und junge Frauen aus einer Ecke heraus anstarren, erzählt uns der Mann, wie sein Dorf völlig zerstört wurde, wie er seine Frau und seine Tochter verloren hat und dass diese kleine Gruppe nun alles ist, was er auf der Welt noch hat. Während der Mann ihre Geschichte erzählt, bemerke ich, dass eines der Mädchen ausdruckslos auf den Boden starrt, das Trauma ist in ihren leeren Augen zu erkennen. Ich glaube, ich habe es geschafft, in den letzten zwei Wochen, in denen ich täglich mit Zerstörung und Tragödien konfrontiert war, einigermaßen ruhig zu bleiben... aber diese Geste der Gastfreundschaft, zusammen ihrem grossen Verlust und dem Gesichtsausdruck des Mädchens, erschüttert mich innerlich mehr, als ich zugeben möchte.

Kleines Mädchen mit Rindern

Unser vierköpfiges Team fährt schweigend durch die Nacht, in einem Kleinwagen, der voll beladen ist mit tierärztlicher Ausrüstung, Helmen, Kameras, Rucksäcken und einer einzigen Kiste, in der sich ein kleiner Hund befindet, dessen Leben gerettet wurde und der wahrscheinlich bald auf dem Weg der Besserung sein wird. Mir kommt der Gedanke, dass ich in weniger als 12 Stunden wieder in unserem Wiener Hauptquartier sein werde. Ich weiß noch nicht, wie es sich anfühlen wird, wieder zu Hause zu sein, in einer so anderen Realität als in den letzten zwei Wochen. Aber was ich weiß ist, dass ich hier und jetzt nicht stolzer auf das gesamte VIER PFOTEN Team sein könnte, und auf den kleinen Unterschied, den wir hier machen konnten.

Hinweis: Bei Ansicht dieses Videos eventuell auftauchende Werbeeinblendungen stehen in keinem Zusammenhang mit VIER PFOTEN. Wir übernehmen für diese Inhalte keinerlei Haftung.

VIER PFOTEN hat seine Katastrophenhilfe vor Ort in der Türkei und Syrien abgeschlossen. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in der Türkei und Syrien werden wir weiterhin Nothilfe und Futter für Tiere bereitstellen.

Fabian Chaundy

Head of Audio-Visual Productions | Brand and Marketing

Fabian Chaundy ist Leiter des VIER PFOTEN Teams für audiovisuelle Produktionen. Als versierter Kameramann mit Erfahrung in ausländischen Nachrichtenabteilungen nimmt Fabian regelmäßig an Rettungseinsätzen teil, um die Tierschutzarbeit zu dokumentieren.

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