Tigerhandel stoppen

VIER PFOTEN rettet weißen Tiger aus illegaler Zucht

10.11.2023

Strahlend scheint die Sonne am 29. Juli über der TIERART Wildtierstation in Rheinland-Pfalz. Doch Bengaltigerin Cara, die im Frühjahr und im Sommer normalerweise jeden Tag in ihrem grünen Außengehege verbringt, will ihren mit Stroh ausgepolsterten Innenraum einfach nicht verlassen. Missmutig beobachtet die zehnjährige Großkatze aus der geöffneten Tür heraus das Nachbargehege: Seit gestern Abend lebt dort ein Jungtier, und dann auch noch eines mit weißem Fell. Cara bleibt lieber auf Abstand.

Voller Neugier

Die 15 Monate alte Charlota indessen scheint von dem Argwohn ihrer Artgenossin nichts zu spüren. Fröhlich schnappt die junge Großkatze nach dem gurgelnden  Bachlauf im Gehege, versucht, das vorbeiströmende Wasser mit den Pfoten zu fangen, und fällt dabei hinein. Schnell klettert sie wieder an Land, schüttelt sich kurz das Fell und eilt weiter, um die Blätter eines Bambusbuschs abzubeißen. 

Für Charlota scheint es nicht infrage zu kommen, sich einmal für eine Weile in die wärmende Sonne zu legen, um ihr Fell zu trocken. „Charlota ist sehr verspielt und muss alles entdecken. Sie sprudelt über vor Neugier und Energie und ist immer da, wo etwas los ist“, sagt Eva Lindenschmidt, die stellvertretende Stationsleiterin von TIERART. Viel zu lange lag die junge Tigerin nur untätig herum. Eingesperrt in die Wohnung einer Privatperson in Tschechien gab es für Charlota schon als kleinen Welpen nicht genug Beschäftigung. Stattdessen herrschte Tag für Tag nichts als quälende Langeweile.

Tigerin Charlota wird von einer Tierärztin untersucht

Da weiße Tiger aus Inzucht entstehen, wird Charlota in der Obhut von VIER PFOTEN regelmäßig tierärztlich untersucht.

Tigerdame Cara versteckt sich hinter einen Strauch

Tigerdame Cara im Nachbargehege verhielt sich dem Neuankömmling gegenüber zunächst recht misstrauisch.

Tigerin Charlota

Alles neu und ungewohnt: Bevor Tigerin Charlota von VIER PFOTEN gerettet und in dieTIERART Wildtierstation gebracht wurde, lebte sie in einer Privatwohnung.

Von wegen niedlich

„Oh, wie süß!“ Das ist in den nächsten Wochen oft zu hören, wenn Besuchende der TIERART Wildtierstation an Charlotas Gehege vorbeigehen. Das weiße, flauschige Fell und die hellblauen Augen machen die junge Tigerdame zum unumstrittenen Publikumsliebling. Doch Charlotas niedliches Aussehen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ausgewachsene Tiger gefährliche Wildtiere sind, die größten Raubkatzen der Erde. „Als Haustiere eignen sich Großkatzen zu null Prozent, auch wenn sie von Hand aufgezogen wurden. Solche Tiere leiden meist ihr Leben lang unter dem frühen Verlust der Mutter und entwickeln Verhaltensstörungen. Mangelernährung in der Kindheit verursacht außerdem oft irreparable Gesundheitsschäden“, betont Biologin Lindenschmidt. Auch Charlota wurde mit wenigen Wochen viel zu früh der Mutter entrissen.

»Wir sind sehr glücklich, dass VIER PFOTEN Charlota erfolgreich nach TIERART gebracht hat. Doch sie ist nur eine von Tausenden Tigern, die jährlich illegal in der EU gezüchtet und verkauft werden. Wildtiere gehören nicht in Hinterhöfe oder Privathäuser. 
Wir müssen den kommerziellen Tigerhandel in der EU ein für alle Mal stoppen!«

Eva Lindenschmidt, Stellvertretende Leiterin von TIERART

Weiß erhöht den Preis

Eine weiße Fellfarbe ist bei Bengaltigern äußerst selten, sie wird durch eine rezessive genetische Mutation namens Leuzismus verursacht. Beide Elterntiere müssen diese Genmutation besitzen, damit das Jungtier weiß geboren wird. In der Wildnis fällt ein weißer Tiger viel zu sehr auf, daher gibt es die Farbe fast nur in Gefangenschaft. Händler: innen betreiben seit Generationen Inzucht mit weißen Tigern, denn mit ihnen lassen sich besonders hohe Gewinne erzielen: Bis zu 35.000 Euro gibt es pro Jungtier. 

Die Nachkommen zahlen einen hohen Preis für ihr helles Fell. Sie leiden an verformten Wirbelsäulen, Seh- und Hörproblemen, einem gestörten Immunsystem und vielem mehr. Die kleine Charlota hat aufgrund der Inzucht stark fehlgestellte Augen. Später wird eine spezielle Augenuntersuchung zeigen, welche Sehbehinderung für sie damit einhergeht.

Tigerhandel stoppen

Im illegalen Handel wird mit Tigern und ihren Teilen viel Geld gemacht. Ihre Felle werden als Bettvorleger benutzt, ihre Knochen, Klauen und Zähne zu vermeintlicher Medizin verarbeitet. Oder die Großkatzen werden lebendig verkauft: an private Zoos und Zirkusse sowie immer wieder auch an private Haushalte. Geschätzte 1.600 Tiger leben und leiden in Europa in Privathaltung. VIER PFOTEN fordert, den kommerziellen Handel mit lebenden Tigern sowie mit den Körperteilen getöteter Großkatzen zu verbieten.

Bei einer EU-weiten Petition auf www.vier-pfoten.de/tigerhandel haben bereits mehr als 270.000 Menschen ihre Stimme für den Schutz der Tiger erhoben. Zusätzlich befreit VIER PFOTEN in Kooperation mit Regierungen und Behörden einzelne Tiger aus besonders katastrophaler Haltung und bringt sie in den eigenen Schutzzentren unter.

Auf gute Nachbarschaft

Inzwischen hat Tigerdame Cara in TIERART genug von ihrem Innengehege und hält sich wieder im sonnigen Außenbereich auf. Aus dem Schatten eines Bambusbuschs heraus beobachtet sie Charlota, die sich gerade auf dem Rücken wälzt. Plötzlich springt das Jungtier auf und stürzt sich auf einen in der Nähe liegenden Jutebeutel, der mit Schafsdung gefüllt ist. Die ältere Tigerin scheint sich einen Ruck zu geben. Behutsam nähert sie sich dem trennenden Zaun, nimmt Augenkontakt zu ihrer neuen Nachbarin auf und reibt schließlich Kopf, Wange und Körperseite am Gitter.

Lindenschmidt ist über diese kleine Interaktion erfreut: „Tiger sind Einzelgänger und daher Artgenossen gegenüber immer erst einmal misstrauisch. Das liegt in ihrer Natur. In der Regel gewöhnen sie sich jedoch schnell aneinander und verhalten sich am Zaun freundlich. Manchmal prusten sie sich als Geste der Freundschaft sogar gegenseitig zu.“ Eines ist klar: Langeweile wird es für die quirlige Charlota nie wieder geben.

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Spannende Geschichten wie die von Charlota finden Sie in unserem Tierschutzmagazin. Wenn Sie es vier Mal im Jahr nach Hause bekommen wollen, können Sie uns hier unterstützen:

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