Zehn Millionen Lämmer sterben jährlich für die Mode
Schockierendes neues Filmmaterial verdeutlicht hohe Sterblichkeitsrate von Lämmern / Verkauf auch in Deutschland
Hamburg/Sydney, 06. März 2024 – Rund zehn Millionen Lämmer verenden jährlich auf Australischen Weiden im Rahmen der Wolleproduktion für Textilien – überwiegend bei der Produktion von Merino-Wolle, die auch in Deutschland verkauft wird: Auf der Plattform „Farm Transparency Project“ wurde neues Filmmaterial veröffentlicht, welches von australischen Farmen stammt. Die Aufnahmen zeigen die schockierende Realität für Millionen von Lämmern, die für die weltweite Wollproduktion benutzt werden. Australien ist unangefochtener Marktführer im Bereich Merino-Wolle und exportiert 98 Prozent seiner Wolle – auch auf dem deutschen Markt werden Produkte aus australischer Wolle verkauft. Der Gewinn der Produzenten geht auf Kosten der Tiere: In Australien übersteigt die Sterblichkeitsrate von Lämmern den weltweiten Durchschnitt (neun bis 20 Prozent) um bis zu zehn Prozent und erreicht in einigen Fällen sogar 70 Prozent.
Zu den größten Risiken für neugeborene Lämmer gehören Geburtskomplikationen, schlechte Haltungsbedingungen oder fehlender Wetterschutz sowie falsche Züchtungen. In einem aktuellen Briefing-Papier für Unternehmen und Marken fordert die globale Tierschutzorganisation VIER PFOTEN dringende Maßnahmen zum Schutz dieser Tiere. Um grausame Praktiken wie das Mulesing zu bekämpfen, empfiehlt VIER PFOTEN die Zucht von Schafen mit weniger Hautfalten, die so weniger anfällig für Fliegenbefall sind und das Mulesing überflüssig machen.
Für ein australisches Schaf besteht die größte Hürde darin, nicht innerhalb der ersten drei Tage nach seiner Geburt zu sterben. Zu diesem Zeitpunkt werden über 80 Prozent der Todesfälle bei Lämmern gemeldet. Wenn sie überleben, werden die meisten Merino-Lämmer im Alter von zwei bis zwölf Wochen bei lebendigem Leibe verstümmelt (auch Mulesing genannt). Durch die entstandenen Wunden leiden die Tiere tagelang unerträgliche Schmerzen. Es dauert Wochen bis die Wunde verheilt. Mehr als zehn Millionen Tiere werden jährlich dieser archaischen Methode unterzogen, die einer Studie zufolge in den untersuchten Betrieben zu einer vierprozentigen Todesrate führt.
Studien zeigen außerdem, dass auch Mütter von Lämmern einem hohen Risiko ausgesetzt sind. Allein aufgrund von Geburtskomplikationen (Dystokie) sterben in Australien schätzungsweise fast 300.000 Mutterschafe pro Jahr.
Picallo Gil fährt fort: „Die jüngsten Filmaufnahmen, die tote Lämmer und das Verstümmeln von Lämmern zeigen, sind kaum zu ertragen. Nachdem die Tiere die Tortur der ersten Tage überlebt haben, werden Lämmer dieser grausamen Verstümmelung völlig wehrlos ausgesetzt, die zusätzlich zur hohen Sterblichkeit in Australien beiträgt. Weltweit steht das Verstümmeln durch Mulesing an der Spitze der invasiven Routineeingriffen, die an sogenannten Nutztieren vorgenommen werden.
„Zum Glück gibt es Hoffnung, denn Züchter berichten, dass die richtigen Zuchtmethoden dazu beitragen können, die hohe Lämmersterblichkeit zu reduzieren und gleichzeitig vor Fliegenbefall schützen. Somit ist kein Mulesing nötig. Es ist höchste Zeit für diesen Wandel: zum einen für das Wohlergehen der Lämmer und ihrer Mütter zum anderen für die Nachhaltigkeit der Branche.“
Züchter:innen: je weniger Falten, desto höher die Überlebensrate
Die Lösung beginnt, bevor das Lamm überhaupt geboren ist: mit der richtigen Zuchtauswahl und einem angemessenen Herdenmanagement. Wollproduzent:innen wie Don Mudford, einem australischen Züchter aus New South Wales, gehen mit gutem Beispiel voran. Er stellte Mulesing ein und erzielte durch die Umstellung auf Schafe ohne übermäßige Hautfalten und somit glatten Körpern, eine höhere Überlebensrate der Lämmer.
Mudford sagt: „Seit der Umstellung auf Schafstypen mit glattem Körperbau habe ich festgestellt, dass unsere Mutterschafe weniger Probleme haben, erfolgreicher gebären und besser mit den körperlichen Anforderungen der Mutterschaft zurechtkommen."
Berichte vieler Züchter:innen belegen den Zusammenhang zwischen Schafen mit glattem Körperbau, die gegen Fliegenbefall resistent sind, und einer höheren Überlebensrate der Lämmer. Dies wurde auch in einer 2020 durchgeführten Umfrage von BG Economics unter fast 100 Wollproduzent:innen aus ganz Australien festgestellt. Dennoch braucht es mehr Studien, die diesen Zusammenhang genauer erforschen.
VIER PFOTEN fordert die dringende Einführung von Zucht- und Haltungspraktiken, die dem Überleben von Lämmern und Mutterschafen Priorität einräumen. Dazu gehört die Zucht von Schafen, die gegen Fliegenbefall resistent sind und einen glatten Körper haben, zusätzlich zu anderen Techniken, die in dem neuen Briefing-Papier „Lämmersterblichkeit im Fokus“ beschrieben werden. Entscheidend ist auch, dass die Industrie mehr Forschung sowie in Trainings investiert, um Produzent:innen bei Verbesserungen zu unterstützen. Marken, Einzelhändler:innen sowie Zertifizierer, die vom Verkauf der Wolle profitieren, stehen dabei ebenfalls in der Verantwortung.
Marken gegen Mulesing
VIER PFOTEN hat 2020 damit begonnen, internationale Marken zu dokumentieren, die mulesing-freie Wolle fordern. Was mit 100 Marken begann, ist in den letzten drei Jahren auf eine bemerkenswerte Zahl von über 400 Marken angewachsen. Eine weitere Gruppe von 80 internationalen Marken hat einen offenen Brief unterzeichnet, der die australische Wollindustrie auffordert, Mulesing bis 2030 zu beenden.
Hintergrund
80 Prozent der feinen Merinowolle für den globalen Modemarkt stammen aus Australien - dem einzigen Land der Welt, in dem Mulesing legal und regelmäßig praktiziert wird. Beim Mulesing werden Lämmern im Alter von wenigen Wochen große Hautstreifen vom Hinterteil abgeschnitten, in der Regel ohne angemessene Schmerzlinderung. Dies verursacht bei den Tieren starke Schmerzen, Angst und Stress. Dieses Verstümmeln von Lämmern wird als schnelle und günstige Methode zur Verhinderung von Fliegenbefall eingesetzt. Es gibt allerdings alternative Methoden. Zu diesen gehört die Zucht von Schafen mit glattem Körper, die gegen Fliegenbefall resistent sind, in Kombination mit einem richtigen Herdenmanagement. Dadurch können sowohl Fliegenbefall als auch Mulesing vermieden werden. Darüber hinaus wird in der Forschung und aus Erkenntnissen von Landwirten berichtet, dass Schafe mit glattem Körperbau eine höhere Überlebensrate bei Lämmern aufweisen.
Hier finden Sie die das vollständige Briefing-Papier (Englisch).
Hier finden Sie die Umfrage unter Wollproduzent:innen.
Hier finden Sie Don Mudfords Fallstudie.
Hier und hier finden Sie das investigative Filmmaterial, das von Collective Fashion Justice in das Farm Transparency Project hochgeladen wurde.
Oliver Windhorst
Pressesprecher für Tiere in der Landwirtschaft+49 151 183 515 30
VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz
Lübecker Straße 128, 22087 Hamburg
VIER PFOTEN ist die weltweite Tierschutzorganisation für Tiere unter direktem menschlichem Einfluss, die Leiden aufdeckt, Tiere in Not rettet und sie schützt. Gegründet 1988 in Wien von Heli Dungler und Freunden, setzt sich die Organisation für eine Welt ein, in der Menschen Tieren mit Respekt, Empathie und Verständnis begegnen. Die nachhaltigen Kampagnen und Projekte von VIER PFOTEN konzentrieren sich auf Haustiere wie streunende Hunde und Katzen, Nutztiere und Wildtiere - wie Bären, Großkatzen und Orang-Utans - in unangemessener Haltung sowie in Katastrophen- und Konfliktgebieten. Mit Büros in Australien, Österreich, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Kosovo, den Niederlanden, der Schweiz, Südafrika, Thailand, der Ukraine, Großbritannien, den USA und Vietnam sowie Auffangstationen für gerettete Tiere in elf Ländern bietet VIER PFOTEN schnelle Hilfe und langfristige Lösungen.