Bären brauchen Hilfe
Allein in Europa hat VIER PFOTEN über 150 Bären befreit und artgemäß untergebrach
Mit hoch in die Luft gestreckter Nase und festem Schritt streift Braunbär Mark durch sein Gehege. Er beißt genüsslich in einen Kopfsalat, dann widmet er sich seiner Lieblingsbeschäftigung: Beharrlich dreht und wendet er eine mit Nüssen gefüllte Röhre, bis die geliebten Lecker bissen aus den kleinen Löchern herauspurzeln.
Mark lebt seit 2022 im BÄRENWALD Arbesbach. So gut wie in diesem Jahr ging es ihm noch nie. Zwanzig Jahre verbrachte er als Touristenattraktion eingesperrt in einem Käfig neben einem Restaurant in der albanischen Hauptstadt Tirana. Er konnte sich kaum bewegen, musste aufdringliche Menschen ertragen und wurde völlig falsch ernährt.
Mit viel Geduld erkannte das tierpflegerische und medizinische Team nach und nach, was Mark fehlte und was ihm guttat. Heute bekommt er eine magenschonende Kost mit viel Gemüse, Nüsse für den Muskelaufbau, die richtigen Medikamente und passende Beschäftigungsanreize. „Wenn wir jetzt sehen, wie er frisst, sich bewegt und beschäftigt, wissen wir, dass er und wir es geschafft haben. Unsere Freude darüber zeigt sich immer wieder am Lächeln in den Gesichtern aller Teammitglieder, sobald sie Mark erblicken“, sagt Friedl.
Partnersuche im Schutzzentrum
Gut 700 Kilometer weiter nördlich beobachtete im Mai dieses Jahres ein Team des BÄRENWALDS Müritz, wie sich Bärin Dushi gegenüber den Bären Rocco und Michal verhielt, die sie durch den Zaun kennenlernen durfte.
Mit einem der beiden sollte sie vergesellschaftet werden. Dushi wurde 2018 abgemagert in Albanien gerettet. Dank guter Pflege erreichte die Bärin ein gesundes Gewicht, war selbstbewusst und agil. In freier Natur sind Bären Einzelgänger. Aber wenn die Chemie zwischen zwei Tieren stimmt, bereichert eine Vergesellschaftung das Leben der Bären in den Schutzzentren ungemein. Dushi entschied sich für Bär Michal.
Michal vegetierte einst in einer Betongrube in einem Zoo in Polen dahin. Er wurde 2011 gerettet und zog in den BÄRENWALD Müritz um. Hier streifte er mit Bärin Tapsi durch die Waldgehege und zeigte sich als entspannter Bär.
Aus gesundheitlichen Gründen mussten Tapsi und er getrennt werden. Deshalb sollte auch Michals Leben durch eine neue Partnerin reicher werden.
„Wir führen die Tiere während der Paarungszeit zusammen“, erklärte Tierpfleger Raphael Cotton. „In dieser Zeit haben die Tiere reges Interesse aneinander – so wie Dushi und Michal.“ Erfolgreich ist eine Vergesellschaftung dann, wenn das Zusammenleben auch nach der Paarungszeit harmonisch ist. Das Team beobachtete das Verhalten von Dushi und Michal in den Wochen danach genau. Viel sprach dafür, dass die Bären künftig zusammenleben konnten.
Beide fraßen harmonisch nebeneinander, Kämpfe gab es nicht, die Tiere gingen entspannt auch mal eigene Wege im Gehege.
Doch ein Schicksalsschlag beendete das Zusammenleben von Dushi und Michal. Die Bärin humpelte plötzlich und hatte starke Schmerzen. Eine Röntgenuntersuchung ergab, dass ihr Hinterbein gebrochen war. Die Verletzung war so schwer, dass nach Einschätzung der Expert:innen eine langwierige, schmerzhafte Behandlung mit wenig Aussicht auf Erfolg Dushis Leiden nur verlängert hätte. Das sollte ihr erspart bleiben. So fiel die schwere Entscheidung, die Bärin gehen zu lassen.
Wirksame Strategie für die Bären
Seit 1998 kämpft VIER PFOTEN für ein Ende der schlechten Haltung von Braunbären in Europa. Dabei konzentriert sich die Organisation darauf, in Zusammenarbeit mit nationalen Behörden gesetzliche Änderungen voranzubringen. Diese sollen den Schutz der Tiere sicherstellen und höhere Standards für die Haltung von Bären in menschlicher Obhut garantieren. Daneben ist die Rettung gequälter Bären ein Schwerpunkt der Arbeit. Um den Tieren ein artgemäßes Leben zu schenken, betreibt VIER PFOTEN in Europa sechs Schutzzentren, zwei davon gemeinsam mit Partnern. Durch diese Schutzzentren bietet VIER PFOTEN langfristige Lösungen für gerettete Bären an.
Wichtige Erfolge
VIER PFOTEN hat in Europa schon über 150 Bären aus schlechter Haltung befreit und ihnen in den eigenen Schutzzentren oder in Partnerprojekten ein gutes Leben geschenkt. Gleichzeitig wurden politisch bedeutende Erfolge erzielt: Dank des Einsatzes von VIER PFOTEN ist die grausame Praxis der Tanzbärenhaltung in Bulgarien und Serbien seit Jahren beendet. 2013 hat die Organisation sämtliche Restaurantbären im Kosovo gerettet und 2022 auch den letzten Restaurantbären in Albanien befreit. In Polen hat VIER PFOTEN das Verbot der illegalen Privat haltung von Bären durchgesetzt. In der Ukraine wurde gemeinsam mit anderen NGOs ein Verbot des Einsatzes von Bären zur Jagdhundausbildung erwirkt. Und in Frankreich dürfen Bären dank der Lobbyarbeit von VIER PFOTEN und lokalen Tierschutzorganisationen nicht mehr zu Show und Unterhaltungszwecken missbraucht werden.
Weitere Bären brauchen Hilfe
Trotz dieser Erfolge leiden in Europa noch immer Bären unter katastrophalen Bedingungen. Im EULand Slowenien vegetieren vier Braunbären seit Jahrzehnten in engen Käfigen. Drei leben bei Restaurants und einer in einem nicht lizenzierten Privatzoo. Sie stehen auf blankem Beton ohne Schutz vor der Witterung, bekommen nicht ausreichend Trinkwasser, kein adäquates Futter und keine tiermedizinische Versorgung. Ein fünfter Bär ist unter diesen Bedingungen bereits gestorben.
VIER PFOTEN hat die Situation in Slowenien mehrfach begutachtet, weist die Behörden seit Jahren auf die gesetzeswidrigen Haltungen hin und hat angeboten, die Tiere aufzunehmen. Mit dem Start einer Petition wurde der öffentliche Druck auf die Regierung weiter erhöht. Trotz dem ist es noch nicht gelungen, die Bären aus ihren Gefängnissen zu befreien. „Aber wir sehen positive Signale und sind deshalb zuversichtlich, dass unser jahrelanger Einsatz auch in Slowenien zum Erfolg führen wird“, sagt Magdalena Scherk Trettin, SeniorProjektmanagerin für Wildtiere bei VIER PFOTEN. „Wir wollen die misshandelten Bären so schnell wie möglich befreien und in unserem BÄRENWALD Arbesbach aufnehmen.“
Ausbau BÄRENWALD Arbesbach
Um den Tieren ein artgemäßes Zuhause bieten zu können, baut VIER PFOTEN im österreichischen Waldviertel derzeit den BÄRENWALD Arbesbach aus. Auf rund 10.000 Quadratmetern entstehen drei neue Gehege mit Badeteichen, abwechslungsreicher Vegetation und altem Baumbestand. Es wird Bärenhöhlen für die Winterruhe geben sowie Tunnel und eine Brücke, damit die Tiere in unterschiedliche Gehege wechseln können. Ab Herbst 2024 können in Arbesbach weitere Bären aus schlechter Haltung eine neue Heimat finden.
Mit etwas Glück werden hier schon bald die Bären Masha, Mici, Mitko und Tim aus Slowenien ihre natürlichen Bedürfnisse wiederentdecken und in Frieden leben können – so wie Mark aus Albanien, der nach zwei Jahrzehnten im Käfig heute im BÄRENWALD Arbesbach durch das Unterholz streift, nach Lust und Laune im Teich badet und endlich Winterruhe hält.
Interview
Magdalena Scherk Trettin, SeniorProjektmanagerin für Wildtiere bei VIER PFOTEN
In welchen Ländern Europas ist die Situation der Bären, die in Gefangenschaft gehalten werden, besonders problematisch?
In Tschechien leben sechs Braunbären und ein Kragenbär ohne Schutz vor dem Wetter und ohne Rückzugsmöglichkeiten oder Beschäftigung in kargen Burggräben.
Vonseiten der Regierung wird diese Haltung als Tradition aus dem Mittelalter rechtfertigt. In anderen Ländern Südosteuropas sehen wir immer wieder, dass Bärenwelpen aus der Wildnis illegal in Privatbesitz gelangen und mit ihnen gehandelt wird. Ende letzten Jahres wurden beispielsweise in Albanien erneut zwei Bärenkinder aus freier Wildbahn eingesperrt und bei einem Restaurant ausgestellt. Inzwischen sind sie spurlos verschwunden. Und in Slowenien setzen wir alles daran, vier Bären zu befreien, die seit zwanzig Jahren in engen Käfigen leiden. Aber auch in Montenegro oder Nordmazedonien gibt es Bärenhaltungen, die dringend aufgelöst werden müssen.
Wie viele Bären benötigen in Europanoch Hilfe?
Wir wissen von einigen Dutzend Tieren, die dringend gerettet und in Schutzzentren gebracht werden müssen.
Weshalb dauert es in bestimmten Ländern so lange, bis sich etwas zum Besseren ändert?
n einigen Ländern fehlen die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen würden, Bären aus schlechten Haltungen zu konfiszieren. Oftmals ist dies aber auch mit fehlendem politischem Willen verbunden.
Was unternimmt VIER PFOTEN dagegen?
Wir sind in vielen Ländern mit den zuständigen Behörden im Austausch. In Ländern mit Gesetzen zum Schutz der Bären achten wir darauf, dass diese auch angewendet werden. Gleichzeitig arbeiten wir daran, Gesetzeslücken zu schließen, damit die missbräuchliche Haltung von Bären endlich ein Ende findet.
VIER PFOTEN ist bereit, weitere Bären in Obhut zu nehmen, braucht dafür aber die Sicherheit, dass die geretteten Tiere nicht durch neue ersetzt werden.
Was können wir als Einzelne tun, wenn wir beispielsweise auf Reisen schlechte Bärenhaltungen entdecken?
Egal, ob Bären oder andere Tiere leiden – niemand sollte die Augen vor Tiermissbrauch verschließen. Die meisten schlechten Bärenhaltungen, sei es in Burggräben, privaten Zoos oder bei Restaurants, dienen als Attraktionen. Werden sie nicht mehr besucht und erhalten die zuständigen Behörden oder touristische Dienstleister Beschwerden über schlechte Haltungen, steigt die Chance, dass diese geschlossen werden. Kritische Berichte auf Reisebewertungsplattformen wie Tripadvisor, Google Reviews oder Expedia helfen zusätzlich, andere Menschen über das Leid der Tiere zu informieren und sie davon abzuhalten, diese Haltungen zu besuchen.